Kalt ist’s geworden, der Wind pfeift ordentlich, während die schweren Flugzeuge rund um den nahegelegenen Bundeswehrstützpunkt blumenförmige Routen in den Himmel fräsen. Bisweilen kann einen das schon fast vom Mountainbike in die Dünen fegen: Schreckmomente, wenn Hercules und Atlas steile Kurven fliegen, um dann in geringer Höhe über den Strandweg zu donnern. Leuchtende Kugeln fallen aus dem Rumpf, Geräusche wie kleine Feuerwerkskörper aus der Ferne. Es macht nachdenklich, das Szenario; und ich erinnere mich an die Kindheitsmomente meiner Mutter, von denen sie erzählte. Ihr Grauen vor den »Christbäumen«, den Leuchtspurmarkierungen, die den Bombenangriffen auf ihre Heimatstadt Berlin vorangingen.
Und doch ist es idyllisch im Norden, ein wenig Drama am Himmel, eine Prise Melancholie. Das Licht, immer wieder, irgendwo zwischen krachend bunt in der Sonne und graublaugrau unter den Wolken; auf den Salzwiesen stehen die wolligen Galloway-Rinder, drumherum Tausende von Zugvögeln. Allesamt unbeeindruckt von den Flugzeugen, in stoischer Ruhe grasend die einen, in langen Ketten landeinwärtsfliegend die anderen. Die Rufe von Gänsen und Kranichen übertönen das Brummen vom Himmel, wenn die nächste Schleife geflogen wird. Ein paar späte Libellen sind noch unterwegs, flauschige Raupen krabbeln auf dem Weg herum, das Schilf raschelt im Wind.
Überhaupt könnte man zum Poeten werden: Blasslila Herbstzeitlosen, hellgelb leuchtender Großer Bocksbart, ein paar späte Rosen mit zartem Duft, rote Kleeblüten, Hagebutten, buttergelbe Äpfel mit roten Wangen in den Ästen der zerzausten Bäume. Der alte Leuchtturm trägt ein Gerüst, die Planen davor blähen sich im Wind – als ob der Turm die Segel setzte, bereit, mit dem Wind und den Zugvögeln fortzuziehen. Die Wege sind einsam, es zieht nur die hartgesottenen Besucher bei diesem Wetter ins Freie. So gehören die stillen Momente auf dem Mountainbike ganz mir: Silberreiher im Moor, knarrend röhrende Damhirsche im Wald, Herbstklänge im Ohr, den Geruch nach Erde, Salzwasser und Holzfeuer in der Nase.
Der eisige Nordwestwind zwickt in Nase und Wangen, gegen die stürmischen Böen wird die Tour zum Leuchtturm zur Herausforderung auf Schotter, durch Sand und bunt wirbelndes Laub, über knirschende Eicheln und Bucheckern. Zurück geht’s dann im Windschatten der Dünen; das kleine Haus mit Reetdach am Hafen knackt und knarrt vor sich hin. Ein Stückchen weiter unter den Bäumen stehen vier Rehe, regungslos beobachtend, nur wenige Meter trennen uns, als ich vorbei radele. Man teilt sich gelassen die Umgebung: friedvolle Momente aus Wolken, Licht und Stille.