Notizen von unterwegs: Olivenbäume und Menschen

Olivenhain in der Messará, Kreta ©HeikeRost.com - Alle Rechte vorbehalten.Keinen friedvolleren, ruhigeren Ort könnte ich mir vorstellen als die Olivenhaine der Messará auf Kreta. Im Frühling ist der rote Boden unter den Bäumen grün: Alles blüht dort in bunter Mischung, handtellergroße Margeriten, Kräuter, Klee und viele andere Pflanzen, die in den heißen kretischen Sommern verdorren und verschwinden. Im Schatten der alten Olivenbäume lässt es sich wunderbar rasten und denken und träumen: Mit dem Rücken an die knorrigen Stämme gelehnt zum Dach aus silbrigen Blätter hinaufschauen, in dessen Lücken der blaue Himmel hervorblitzt. Die Stämme sind manchmal von Waldbränden geschwärzt, sind rauh und schrundig wie die Gesichter der alten Menschen in den Bergdörfern. Und voller Geschichten sind diese Gesichter für den, der darin zu lesen versteht. So wie die Furchen in der Rinde der Olivenbäume.

Auf den Märkten der Messará, vor allem in Moíres, findet man vieles Handgefertigte aus Olivenholz: Küchenutensilien, Schüsseln und Mörser. Bretter zum Schneiden von Gemüse und Brot, Löffel und Gabeln. Mitunter Möbelstücke und Gehstöcke. Das Holz der Bäume, das zu fast 75% aus Wasser besteht, muss entsprechend lang und sorgfältig trocknen, damit es sich nicht mehr verformt, reißt und verfärbt. Soviel Geduld und Langsamkeit wird belohnt: Es wird hart, dieses Holz, bewahrt sich wie kaum ein anderes seine lebendige Maserung und einen solch warmen Goldton. Pflegeleicht und lebenslang haltbar ist es obendrein. Ab und an muss man es einölen, dann verschwinden Kratzer und Gebrauchsspuren, das Holz schimmert wieder sanft und bekommt mit der Zeit eine samtige Patina.

Wer in den Bergen und Dörfern wandert, trifft Menschen jeden Alters mit Stöcken, denen man ihren Ursprung, den Olivenbaum, noch ansieht. Sie sind knorrig, ihre gewundenen Astgabeln zu Handgriffen geschnitzt, die sich in die Hände ihrer Besitzer schmiegen, als gehörten sie genau dorthin und nirgendwohin anders. Man sagt, so ein Stock findet einen, ohne dass man ihn suchen müsste: Was so in der Hand liegt, das bleibt und ist beständig. Das schenkt Sicherheit unterwegs, begleitet den Wanderer wie ein Stück Heimat. Gibt dem unsicher Gehenden Schutz und Halt, ist lebendig in den Fingern, warm und glatt. Und wird mit zunehmendem Gebrauch immer glatter, bis das Holz wie frisch poliert glänzt.
Bei Anogia, Kreta ©HeikeRost.com - Alle Rechte vorbehalten.Manchmal, so wie bei Anogia an den Hängen des Psiloritis, wachsen Olivenbäume an ungewöhnlichen Orten. Sie tragen keine Früchte, sind wilde Verwandte des Baumes, der von den Bauern veredelt wird, damit er Früchte trägt. Vielleicht ist ein Kern von einem Vogel in einer Felsspalte versenkt worden, hat dort langsam Wurzeln geschlagen und ist über Jahre langsam gewachsen. Hat seine Wurzeln in den Stein gekrallt, ihn zur Seite gedrückt, sich gemächlich Raum geschaffen und Furchen gesprengt, in denen sich Wasser sammeln konnte. Ist dort geblieben, sein Stamm ist mit der Zeit grau und rissig geworden wie der Berg, der sein Zuhause ist. Diese verwilderten Bäume bieten dem Wanderer und dem Hirten Schutz vor Regen und Sonne, einladende grüne Rastplätze in der Stille hoch oben am Rand der Nida-Ebene. Es ist ein schöner Ort, der einen lehrt, der Stille zuzuhören, dem Wind in den Felsen und dem Flüstern der Blätter. Manchmal ist nur noch der Flügelschlag der vorbeiziehenden Vögel zu hören in der Einsamkeit.

Gortys, Kreta ©HeikeRost.com - Alle Rechte vorbehalten.Ein besonderer Olivenbaum steht in der Messará, am Rand der antiken Stadt Górtys, auf deren Ruinen immer wieder neue Orte entstanden. Beim Wandern habe ich ihn gefunden. Rußgeschwärzte Furchen in seiner Rinde, irgendwann muss es dort gebrannt haben, vielleicht in einem der heißen kretischen Sommer. Der Olivenbaum hat das ebenso überlebt wie offensichtlich einen Blitzeinschlag vor längerer Zeit. Der gesplitterte Stamm ist wieder zusammengewachsen, direkt neben einer Säule der ehemaligen Stadt Górtys. Mit der Zeit ist der Baum um diese Säule herumgewachsen. Hat sie sanft aus der Erde gedrückt und mit seinen Wurzeln in die Höhe gehoben. Das ist Zeitlosigkeit und Langsamkeit, ist friedvolles Miteinander.

In einem langen Riß, der den Stamm teilt, sieht man die Maserung des Olivenholzes. Wie in einem Buch schließt der Baum im Inneren die Geschichte seines Lebens ein: Von Dürre und Regenzeit, von Fruchtbarkeit und Sandstürmen. Bisweilen auch von Bränden und anderen Katastrophen, die der Baum immer wieder überlebt hat. Nach Ruhepausen wächst er wieder, trägt Früchte und silbrig grüne Blätter, wird größer, stärker und schöner mit seinen Verletzungen. Die Bäume der kretischen Olivenhaine in der Messará, in deren Holz soviel sichtbar wird, sind ein Sinnbild auch für Menschen, die ich unterwegs getroffen habe: Manch einer ist an seinen Lebensspuren gewachsen und stärker geworden, hat Bränden und Blitzeinschlägen getrotzt, mit zunehmenden Jahresringen an lebendiger Maserung gewonnen. Und ist mit warmgoldenem Glanz buchstäblich »aus einem ganz besonderen Holz«.

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