Die Farben des Regenbogens

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Eine Sommergeschichte, es ist schon lange her: Unterwegs mit meiner preußischen Großmutter war ich damals, im Odenwald, ein Kindheitserinnerungsort voller Apfelduft, mit Pilzen und Walderdbeeren, mit Heidelbeeren, barfuß im Gras. Wir gerieten beim Spaziergang in einen ordentlichen Platzregen, offenbar ein Gewitterausläufer. Kamen lachend aus dem Wald gestolpert, durchnässt bis auf die Haut und standen staunend in der großen Wiese am Ende des Wegs. Dort, wo man den weitesten Blick übers Tal hat. Genau den Blick, der auch Herz und Seele weit macht, die Gedanken öffnet und den Kopf befreit für Neues. Der Himmel klarte plötzlich auf zu strahlendem Blau mit ein paar dunklen Wolken und einem so klaren, messerscharfen Licht wie nur an wenigen Tagen im Jahr, meistens nach einem kräftigen Regenguß. Und direkt vor uns: ein perfekter, leuchtender Regenbogen. Doppelt, minutenlang.

Meine Großmutter, die mir bis knapp unter die Schulter reichte, (mehr …)

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La Cucaracha, kretische Art

Ausflüge in die Marktstraße von Iraklion auf Kreta sind immer wieder ein empfehlenswertes Erlebnis. Vielleicht weniger für zart besaitete Zeitgenossen, eher für Neugierige, Fotografen und Entdeckungslustige. Denn zwischen liebevoll dekorierten Schweinsköpfen, drumherum drapierten Ringelschwänzchen, Hufen und Schweineohren hängen fachmännisch gehäutete Kaninchen. Sicherheitshalber verbleiben Fellohren und Puschelschwanz an den frisch geschlachteten Tieren, das ist ein rustikales Signal derjenigen Metzger, die auf sich halten und damit klar machen: bei der angebotenen Ware handelt es sich nicht etwa um Katzen oder Hunde, die »nackt« für den Laien nicht mehr von Kaninchen zu unterscheiden sind. Das behauptete jedenfalls Kostas, der kleine dürren Schlachter um die Ecke – und legte sorgfältig ein paar frische Ringelschwänze um den Schweinekopf. Dezentes Räuspern hinter mir: Mein Reisebegleiter war nicht annähernd so amüsiert oder interessiert wie ich, journalistische Neugier hin oder her.

Von Freunden mieteten wir damals ein kleines Häuschen in der Altstadt von Iraklion. Jenseits aller Touristenströme, umgeben von kretischen Nachbarn, verbrachten wir viele Urlaubstage in der trubeligen Gegend. Vertrieben uns die Zeit mit deutsch-griechischen Palavern, ergänzt durch Hände und Füße: mit den kretischen Nachbarn, über das Wetter, die Politik, Pasok, Papandreou und Mimi, dessen seinerzeitiges frisch angetrautes Busenwunder. Damals lernten wir auch Kostas und seine bessere Hälfte Dimitra kennen, die ihren Mann nicht nur um mindestens zwei Haupteslängen überragte, sondern auch ungefähr viermal so stattlich war wie Kostas. Damals, als wir eigentlich nur ein paar Lammkoteletts zum Abendessen kaufen wollten. Ein wenig Abenteuerurlaub – zumindest für den Stadtmenschen in meiner Begleitung – war auch das. Dimitra öffnete den Kühlraum, verschwand in dessen dunklen Tiefen und kehrte mit einem halben Tier zurück. Hob es am Schwanz in die Höhe und stutzte: Kein Lamm, eine Ziege, daneben gegriffen. Zurück in den Kühlraum, nächster Versuch. Mit Schwung warf sie das halbe Lamm auf den Hackklotz. Meterdickes bestes Olivenholz, seit Dekaden in Gebrauch, zerfurcht von den Kerben des Metzgerbeils, mit dem Dimitra nun begann, blitzgeschwind und treffsicher das Lamm zu zerlegen. (mehr …)

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Die fidelen Fräuleins von Freiburg

Es ist Jahre her, dass ich die beiden Damen kennen lernen durfte: Johanna und ihre Zwillingsschwester Ruth, Freundinnen meiner preußischen Großmutter. Belesen, klug, lebenserfahren, voller Heiterkeit und Weisheit alle beide. Nach Jugend- und Kriegsjahren in Berlin verschlug es sie ins Süddeutsche. Nach Freiburg, in die Stadt mit dem Münster, von dessen Turm man bei schönem Wetter einen grandiosen Rundblick hat, vom Schwarzwald auf der einen Seite, übers Rheintal bis zu den Vogesen auf der anderen Seite. Manches Mal habe ich sie dort besucht, in der Altbauwohnung mit den hohen, lichten Räumen. Eine überaus fidele Wohngemeinschaft zweier älterer Damen mit liebenswerten Erinnerungen an die Bücherstapel überall.

Bibliothekarin die eine, Verwaltungsrätin die andere, schon von Berufs wegen haben Johanna, genannt Hannchen, und Ruth viel gelesen. Eine bunte Mischung aus Fachliteratur, Belletristik, klassischer Literatur, Zeitschriften und Zeitungen pflasterte die Wohnung; Verteilt nicht nur in Regalen, sondern auf Fensterbrettern, Tischen, Stühlen. Kein Schritt ohne Ermahnung an Besucher, die kurzerhand eine Sitzgelegenheit für sich freiräumen wollten: „Haaaaaalt!!! Auf den Stuhl kannst Du Dich nicht setzen, den Stapel muss ich noch lesen!“. Aus dem Hintergrund kam Ruths Echo: „Moment! Ich mach Dir gleich Platz!“ – auf dem großen Sofa, das so herrlich zum Hineinfläzen und Schmökern einlud, weil der Großteil der Chaiselongue mit Lektüre aller Art übersät war. Auf dem Kopfkissen des großen Betts im Gästezimmer eine Praline vom Chocolatier in Freiburg, dazu eine kleine Auswahl von Artikeln und Büchern für die nächtliche Lektüre des Gastes. (mehr …)

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Waldmorgenwelt, Frühling

Ganz früh unterwegs: Das Licht wechselt von grau zu sanfter Farbigkeit. Die Waldmorgenwelt ist ein großer Gesang aus Vogelstimmen, Blattwispern und Regen, der von den Blättern tropft. Niemand außer mir ist unterwegs, kein Schritt stört die Sanftheit dieses beginnenden Tages.…

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Über das Vergnügen an Briefen

Briefe schreiben ist eine Freude eigener Art. Nichts daran ist für mich altmodisch: Nicht elegantes Schreibwerkzeug, nicht feines Papier, das unter den Fingern raschelt und knistert, dessen Unebenheiten und Hadern im geschöpften Material das Handwerk sichtbar machen. So wie das…

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Notizen von unterwegs: Pastis Breton

Ein hinreißender Ort wäre das alte Generalshaus in der Bretagne gewesen; für einen Krimi, ein Psychodrama oder einen Film mit rabenschwarzem Humor. Damals, als ich dort einen Freund besuchte, verwitterte das Gemäuer hinter hohen alten Hecken still vor sich hin. Die Mauern umwuchert von fast mannshohen Hortensienbüschen aller Farben, deren üppige Blütendolden in der Sonne leuchteten. In einem winzigen Ort im Finisterre gelegen, jenem windumwehten, äußersten Westzipfel der Grande Nation, wo sich nicht einmal mehr Hase und Fuchs Gute Nacht sagen und gelegentlich ein U-Boot im Meer vorbeidümpelt.

Vor allem die Küche der Villa war beeindruckend; ihre Ausstattung mit gusseisernen, von jahrzehntelangem Gebrauch ausgeglühten Brätern und Pfannen verriet die Vorliebe der ehemaligen Bewohner für genussvolle Kochexperimente. Einer Vielzahl exzellenter Geräte und Messer fanden wir dort in Schubladen und Kästen vor und setzten die Tradition des Hauses gemeinsam fort: Mit Henris wunderbarem Muschelrisotto, phantasievollen Kreationen aus frisch gefangenem Fisch, knusprigem Baguette und starkem, schwarzen Kaffee zum späten Frühstück. Henri hatte dort einige merkwürdige Besucher um sich geschart, deren Geschichten ein aberwitziges Kaleidoskop voller Wirrwarr und Verwicklungen zwischen unglücklicher Liebe, Eifersüchteleien und zerplatzten Träumen boten. (mehr …)

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Sainte Victoire und das Licht

Als meine Leidenschaft für Photographie begann, war ich unterwegs in die Provence. Bevor die Autobahn wieder bergab führt Richtung Nîmes, hielt ich auf der Kuppe des letzten Hügels an. Versunken in die Aussicht, für eine ganze Weile, atemlos schweigend: Der Blick schweift über die Ebene und bis fast zum Meer. Man ahnt es im Dunst am Horizont, sehen kann man es noch nicht. Lichtdurchflutet, in unwirklicher Klarheit, ist jedes Detail der Landschaft zum Greifen nah. Ein überwältigendes Panorama…

Sehen, schauen, erleben, unzählige Male gemalt, immer wieder neu und überraschend sind die Werke der vielen Künstler, jedes einzelne ihrer Gemälde ein Porträt – des Lichts. Die kahlen Felsen von Les Baux, der künstlichen Ruinenstadt: Wenn man sich (mehr …)

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Notizen von unterwegs: Kaffeehausträume

Unterwegs entdecke ich gerne Cafés; am liebsten diejenigen, die ein wenig aus der Zeit gefallen wirken: Charmante Orte, die ebenso zum Innehalten und Verweilen einladen wie zum Plaudern mit Menschen am Nachbartisch. Plätze, die zu Beobachtung, zum Lesen oder Schreiben inspirieren. Und immer wieder erinnern mich solche Cafés an ein wunderbares kleines Geschäft in Mainz, das es schon seit Jahren nicht mehr gibt. An seine hölzerne Eingangstür mit Glasscheiben und blank gegriffenen Messingbeschlägen, die sich knarrend in die duftende Dämmerung öffnete. An die altmodische Türglocke, den Geruch nach Schokolade, ein wenig Karamel und Kaffee. An dunkles Holz an den Wänden und auf dem Boden, einen Tresen mit Glasplatte, darunter kleine Schirmchen aus Schokolade, Pralinen, handgemachte Bonbons in buntem Papier und Stanniol. Große Glaszylinder mit auf Hochglanz polierten Messingdeckeln, gefüllt mit dunklen, samtig schimmernden Kaffeebohnen, mit Schildern daran: Kenia-Perle, Afrika-Mischung, noch einige Namen, an die ich mich schon nicht mehr erinnere. Sorgfältig von Hand geschrieben auf kleine, zurechtgeschnittene Pappstücke, die an Bändern aus feiner, blauweißer Schnur um den Griff der Glasbehälter befestigt waren.

Schlurfenden Schritts kam der Inhaber, ein zierlicher älterer Herr, aus dem hinteren Teil des Ladens in den dämmerigen Raum, fragte die Kunden nach ihren Wünschen. Manche Besucher bat er mit sich in die hinteren Räume, setzte sich dort wieder ans Sortieren der Kaffeebohnen. Ein vergilbtes Leinentuch, über zwei Walzen mit einer gußeisernen Kurbel gespannt, huschende, knotige Altherrenhände, die emsig die noch ungerösteten, hellen Bohnen sortierten. Nebenbei erzählte der kleine Herr mit leiser Stimme Geschichten über die Geheimnisse des Kaffees. Anekdoten amouröser Verflechtungen der Historie, Abenteuer des Kaffeeanbaus in fernen Ländern, über die Feinheiten der Kaffeezubereitung. Dass in Frankreich anders, länger geröstet werde als hierzulande. Eine Handvoll Zucker, (mehr …)

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